Anforderungen und Hintergründe der EU-Hinweisgeber-Richtlinie – Ende 2019 trat die Richtlinie der Europäischen Union zum Hinweisgeberschutz (RL EU 2019/1937) in Kraft. Diese definiert Maßnahmen, die einheitlichen Schutz von Hinweisgebern in Europa sicherstellen sollen. Mit den Schutzmaßnahmen korrespondieren Pflichten für Unternehmen und die öffentliche Hand.
Deutschland musste die Richtlinie bis 17.12.2021 in nationales Recht umsetzen. Eine fristgerechte Umsetzung ist in Deutschland bisher nicht erfolgt. Die amtierende Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verabredet, die Anforderungen der EU-Whistleblowing-Richtlinie in Deutschland praktikabel umzusetzen. Seit dem 06.04.2022 liegt ein neuer Entwurf des Bundesjustizministeriums für ein Hinweisgeberschutzgesetz vor. Er wurde den weiteren Ministerien zur Abstimmung zugeleitet.
Da die EU bereits im Januar 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, ist in jedem Fall damit zu rechnen, dass das Hinweisgeberschutzgesetz sehr bald zur Verabschiedung kommt. Das BMJ strebt eine Beschlussfassung im Juni 2022 an.
Schon jetzt ist klar, dass die Regelungen der Richtlinie als Mindeststandard umgesetzt werden müssen, über das nationale Gesetz können noch mehr Pflichten kommen, keinesfalls aber weniger. Unternehmen und Behörden sollten daher unbedingt die verbleibende Zeit für die Einführung eines richtlinienkonformen Meldekanals nutzen. Sollte die Umsetzungsfrist ablaufen, ohne dass ein entsprechendes Gesetz in Deutschland vorliegt, werden sich die Hinweisgeber bezüglich ihrer Schutzrechte direkt auf die EU-Richtlinie berufen.
Jedes Unternehmen ab 50 Mitarbeitern muss künftig besondere interne Meldekanäle einrichten, über die ein Hinweisgeber mögliche Verstöße melden kann. Die Vertraulichkeit der Meldung muss dabei geschützt sein, bezüglich aller in der Meldung enthaltenen Daten müssen die Anforderung der DSGVO beachtet werden.
Die Pflicht zur Einrichtung von Meldekanälen trifft auch die öffentliche Hand. Alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind betroffen (Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, öffentlich-rechtliche Stiftungen), einschließlich privatrechtlicher Gesellschaften im Eigentum der öffentlichen Hand (z.B. städtische Betriebsgesellschaften). Auch die Gemeinden sind verpflichtet. Die EU erlaubt, Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern herauszunehmen. Der Gesetzesentwurf sieht das für Deutschland so vor.
Im Bezug auf den Schutz des Hinweisgebers unterscheidet die EU-Richtlinie nicht zwischen einer internen und einer externen Meldestelle.
Jeder Hinweisgeber genießt den vollen Hinweisgeberschutz (z.B. Schutz vor arbeitsrechtlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Meldung) egal, ob er zunächst einen internen Meldeweg gesucht hat und dann eine externe Behörde informiert hat oder sich direkt an die Behörde gewandt hat. Lediglich eine Meldung an die ungeschützte Öffentlichkeit, z.B. Einschaltung der Presse, ist nur dann gerechtfertigt, wenn zuvor Versuche über eine interne Meldung und Behördenmeldung keine angemessenen Reaktionen gezeigt haben. Die Gleichrangigkeit von interner und externer Meldung bedeutet für Unternehmen die Gefahr, dass der Hinweisgeber sich direkt an zuständige Behörden wendet, zumal viele Behörden bereits digitale Hinweisgeberportale mit optimalem Identitätsschutz bereithalten.
Wählt der Hinweisgeber den Erstkontakt über die Behörde, besteht für das Unternehmen keine Möglichkeit, sich intern um eine Aufklärung des Sachverhaltes zu bemühen und bei Bedarf Folgemaßnahmen einzuleiten. Durch ein qualitativ hochwertiges, für den Hinweisgeber leicht zugängliches und absolut vertrauliches Hinweisgebersystem fördern Unternehmen die Kommunikationskultur im Unternehmen. Der Hinweisgeber wählt den externen Kanal erfahrungsgemäß als letzten Ausweg aus seinem Dilemma, weil er intern keine Lösung findet, die seinen Bedürfnissen gerecht wird.